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Arbeit an sich selbst

In der Freimaurerei wird unter der „Arbeit an sich selbst“ ein fortlaufender Weg der Selbstreflexion und ethischen Entwicklung verstanden. Dieser Weg beinhaltet das Bemühen, sich selbst immer besser kennenzulernen, die eigenen Handlungen zu reflektieren und ethische Prinzipien im eigenen Handeln umzusetzen. Das Ziel ist ein gemeinsames Streben nach ethischem Handeln und gesellschaftlicher Weiterentwicklung, getragen von der Überzeugung, dass die Verwirklichung einer humaneren Gesellschaft bei jedem Einzelnen beginnt und sich im Miteinander fortsetzt.


Dieser Artikel beleuchtet das Konzept aus einer systemischen Perspektive, die den Freimaurer als Teil eines größeren Ganzen sieht und die Wechselwirkungen zwischen ihm und seiner Umwelt betont.


1. Der Mensch in stetiger Entwicklung: Gemeinsames Wachstum im System

Freimaurer betrachten den Menschen als ein Wesen, das sich in fortwährender Wechselwirkung mit seinen sozialen Systemen entwickelt. Diese Systeme umfassen Familie, Freundeskreis, Beruf und die Gesellschaft als Ganzes. Jeder Mensch bringt seine einzigartigen Erfahrungen, Werte und Perspektiven in diese Systeme ein und wird gleichzeitig von ihnen geprägt. Man ist also nicht von Anfang an festgelegt auf bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen, sondern entwickelt sich immer weiter, je nachdem, was man erlebt und mit wem man zu tun hat. Die eigenen Wünsche und Ziele stehen dabei manchmal im Widerspruch zu den Erwartungen der Umwelt. Die „Arbeit an sich selbst“ soll hierbei eine Orientierung bieten, um mit diesen Spannungen umzugehen, die eigene Rolle in den Systemen zu reflektieren und seinen individuellen Weg zu finden.


2. Entwicklungspotenziale erkennen und gemeinsam nutzen: Vom rauen zum behauenen Stein

Die „Arbeit an sich selbst“ wird in der Freimaurerei symbolisch durch die Bearbeitung des „rauhen Steins“ dargestellt.

  • 2.1 Der raue Stein: Der raue Stein repräsentiert den Menschen in seiner ursprünglichen, von den Einflüssen seiner Systeme geprägten Form, mit seinen individuellen Eigenheiten, seinen Ressourcen und seinen Entwicklungspotenzialen.

  • 2.2 Der behauene Stein: Der zu einem „kubischen Stein“ bearbeitete Stein steht symbolisch für die bewusste Selbstgestaltung im Kontext der sozialen Systeme. Die „Arbeit an sich selbst“ ähnelt der eines Steinmetzes, der die verschiedenen Seiten des Steins in ein harmonisches Verhältnis zueinander bringt, ohne dabei die systemische Umwelt außer Acht zu lassen, die das Material des Steins verändern kann. So steht der kubische Stein, Sinnbild des Gesellen, für den Menschen, der an sich und seinen Beziehungen zu anderen arbeitet. Er hat gelernt, seine Entwicklungspotenziale zu nutzen und seine Rolle in den Systemen, in denen er sich bewegt, aktiv und verantwortungsvoll zu gestalten. Seine vollendete Gestaltung als „kubischer Stein“ kann auf der irdischen Lebensbahn aber nie ganz erreicht werden; sie bleibt ein Ideal, das es gemeinschaftlich zu erstreben gilt. Im Gegensatz zum „rohen Stein“ steht er jedoch sicher und fest auf der Erde, und man kann auf ihm bauen, wie auf einem Eckstein.

  • 2.3 Systemische Dimension: Der Mensch formt durch die fortwährende „Arbeit an sich selbst“ also nicht nur sein eigenes Inneres, sondern auch seine Beziehung zur Welt und trägt zu einem konstruktiven Miteinander bei. Dieser Prozess ist anspruchsvoll und erfordert Ausdauer.

3. Die Dynamik der „Arbeit an sich selbst“: Ressourcenorientierung und konstruktive Nutzung von Konflikten

Die freimaurerische Philosophie fördert die Selbstverwirklichung, indem sie ein Bewusstsein für die menschliche Fähigkeit zur Selbstgestaltung und die Bedeutung sozialer Systeme schafft.

  • 3.1 Ressourcenorientierung: Sie lenkt den Blick weg von einer defizitorientierten Sichtweise, die sich auf die „Schwächen“ des Einzelnen konzentriert und Verantwortlichkeiten einseitig verteilt. Stattdessen betont sie eine ressourcenorientierte Perspektive, die die Stärken des Einzelnen und die Potenziale, die in der konstruktiven Zusammenarbeit liegen, hervorhebt.

  • 3.2 Konflikte als Chance: Der Freimaurer wird ermutigt, sich seinen eigenen Ressourcen und Entwicklungspotenzialen sowie den Einflüssen seiner sozialen Systeme ehrlich zu stellen. Er lernt, innere und äußere Konflikte nicht als Hindernisse, sondern als Chancen für Wachstum und Entwicklung zu begreifen.Beispiel: Ein Konflikt mit einem Familienmitglied kann als Anlass genommen werden, die eigene Kommunikation zu verbessern und die Beziehung zu stärken.

  • 3.3 Unterstützende Systeme: Die freimaurerische Symbolik und die Gemeinschaft dienen als Ressourcen, die diesen Prozess der Selbstreflexion und ethischen Reifung unterstützen. Die Gemeinschaft dient als ein soziales System, in dem der Freimaurer sich selbst im Kontext einer Gruppe erleben kann, die aber nicht mit den Zwängen seiner anderen Systeme behaftet ist. So wird die Loge zu einem Übungsfeld für systemisches Handeln.

4. Hilfsmittel für die „Arbeit an sich selbst“: Ein systemischer Blick auf rituelle Praxis und Symbolik

Freimaurer nutzen verschiedene Hilfsmittel, die sie bei der „Arbeit an sich selbst“ unterstützen. Diese Hilfsmittel sind nicht isoliert zu betrachten, sondern entfalten ihre Wirkung im Zusammenspiel und im Kontext der Systeme, in denen sich der Einzelne bewegt.

  • 4.1 Die Treffen und Gespräche (Logen): In ihren Treffen, den sogenannten „Logen“, tauschen sich Freimaurer über wesentliche Fragen des Lebens aus. Die rituellen Arbeiten und die gemeinsamen Gespräche bieten einen Rahmen, um über eigene Werte, Ziele und Handlungen zu reflektieren. Die Loge kann als ein geschützter Raum verstanden werden, in dem der Einzelne neue Perspektiven entwickeln, sich mit anderen austauschen und gemeinsam nach Lösungen für Herausforderungen suchen kann. Die Gespräche dort sind wie ein Spiegel, der einem zeigt, wo man steht und wie man sich im Miteinander weiterentwickeln kann.

  • 4.2 Symbole als Werkzeuge der Reflexion und des ethischen Handelns: Die Freimaurerei bedient sich verschiedener Symbole, um abstrakte Ideale und ethische Prinzipien anschaulich zu machen. Diese Symbole leiten die Gedanken der Freimaurer an und dienen als „Werkzeuge der Reflexion“ über das eigene Handeln und die Gestaltung der Welt. Jedes Symbol hat dabei eine vielschichtige Bedeutung, die sich nicht in einer einzigen Definition erfassen lässt. Die Freimaurerei gibt keine festen Interpretationen vor, sondern ermutigt jeden Bruder zur individuellen Auseinandersetzung mit den Symbolen. Beispiel: Der Zirkel: Der Zirkel ist ein zentrales Symbol der Freimaurerei und steht unter anderem für die allumfassende Menschenliebe, das Gefühlsleben und die seelische Einstellung zur Freimaurerei und zur Menschheit. Er symbolisiert die Suche nach Vollkommenheit, ein Ziel der „Königlichen Kunst“, die metaphorisch für die Arbeit an sich selbst steht. Während das Winkelmaß Vernunft und Gesetz repräsentiert, ordnet der Zirkel die emotionale Dimension. Er kann den Freimaurer an die Bedeutung von Mitgefühl, Toleranz und Brüderlichkeit erinnern.

  • 4.3 Die Gemeinschaft mit anderen Freimaurern: Freimaurer unterstützen sich gegenseitig. Sie helfen sich, aus Rückmeldungen zu lernen und sich im täglichen Leben zu verbessern. Die Gemeinschaft ist wie ein Netzwerk, in dem man sich gegenseitig stärkt und gemeinsam wächst. Sie bietet die Möglichkeit, sich im Rahmen einer Gruppe weiterzuentwickeln.

Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, wie diese Hilfsmittel am besten eingesetzt werden können, um die "Arbeit an sich selbst" zu unterstützen.


5. Das Ziel: Gemeinsames Streben nach ethischem Handeln und gesellschaftlicher Weiterentwicklung

Das Ziel der „Arbeit an sich selbst“ ist ein gemeinsames Streben nach ethischem Handeln und gesellschaftlicher Weiterentwicklung. Der Einzelne arbeitet an sich, um mit seinen Mitmenschen besser interagieren zu können und so die Gesellschaft positiv zu beeinflussen.

  • 5.1 Sich selbst und seine Rolle erkennen: Ein Freimaurer versucht, seine eigenen Stärken und Entwicklungspotenziale zu erkennen und zu reflektieren, wie er diese in seinen sozialen Systemen, zum Wohle aller, einbringen kann.

  • 5.2 Verantwortung im Miteinander übernehmen: Ein Freimaurer ist sich bewusst, dass das eigene Handeln Auswirkungen auf andere hat. Er versucht daher, im Alltag verantwortungsvoll zu handeln und sich für ein faires und unterstützendes Miteinander einzusetzen.

  • 5.3 Ein Vorbild sein durch systemisches Bewusstsein und Handeln: Ein Freimaurer versucht, im Alltag ein gutes Vorbild für andere zu sein und sich für eine bessere Gesellschaft einzusetzen, indem er sich seiner systemischen Verflechtungen bewusst ist und dementsprechend handelt.

Dabei kann es jedoch auch zu Zielkonflikten kommen, die es zu reflektieren gilt.


6. Die Freimaurer und die Gesellschaft: Gutes tun für alle – der „Tempelbau der Humanität“

Die „Arbeit an sich selbst“ ist nicht nur für einen selbst wichtig, sondern auch für die Gesellschaft. Ein Freimaurer soll sich für andere Menschen einsetzen und versuchen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Das nennt man auch den „Tempelbau der Menschheit“. Die konkrete Ausgestaltung dieses "Tempelbaus" variiert jedoch stark zwischen verschiedenen freimaurerischen Strömungen. Jeder Mensch kann mit seinem Verhalten dazu beitragen, dass es allen besser geht. Dazu gehört es, dass man Ungerechtigkeiten anspricht, Menschen in Not hilft und sich für ein friedliches Zusammenleben einsetzt – immer im Bewusstsein der systemischen Auswirkungen des eigenen Handelns.


7. Ein Weg mit Herausforderungen: Persönliche Entwicklung und ihre systemischen Grenzen

Die „Arbeit an sich selbst“ ist ein langer Weg, der auch Herausforderungen mit sich bringt. Man lernt immer weiter dazu und versucht immer, ein bisschen besser zu werden. Aber es kann auch Rückschläge und Zweifel geben. Manchmal widersprechen sich auch die eigenen Ideale, oder man scheitert an ihnen. Die Systeme, in denen man sich bewegt, setzen dem eigenen Handeln Grenzen und erzeugen Spannungen, die nicht immer leicht aufzulösen sind. Wichtig ist, dass man sich diese Herausforderungen und Grenzen bewusst macht und nicht aufgibt, auch wenn es schwierig wird. Auch wenn man schon viel erreicht hat, gibt es immer noch etwas, das man an sich und an seinem Verhalten in der Welt verbessern kann. Freimaurer wollen ein Vorbild sein und die Welt zu einem besseren Ort machen. Das ist ein Ziel, für das es sich lohnt, immer weiter an sich zu arbeiten. Und auch die Welt um uns herum ändert sich ständig, deswegen muss man immer wieder neu über sich selbst, seine Rolle in den Systemen und seine eigenen Ziele nachdenken und sich weiterentwickeln.


8. Unterschiedliche Wege in der Freimaurerei – und darüber hinaus

Es ist wichtig zu wissen, dass es in der Freimaurerei verschiedene Traditionen und Lehrarten gibt, zum Beispiel den York Ritus oder den Schottischen Ritus. Diese haben teilweise unterschiedliche Schwerpunkte und Rituale, und auch die Idee der "Arbeit an sich selbst" kann unterschiedlich ausgelegt werden. Der Gedanke der „Arbeit an sich selbst“ hat eine lange Geschichte und findet sich in ähnlicher Form auch in anderen Kulturen und Philosophien, zum Beispiel in der Aufklärung oder bei humanistischen Denkern. Auch außerhalb der Freimaurerei gibt es viele Ansätze, die sich mit der Frage beschäftigen, wie man sich selbst und die Welt, in der man lebt, besser verstehen und positiv verändern kann.


Arbeit an sich selbst

Begriff

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