Allegorie
Die Allegorie ist eine rhetorische Figur, die sowohl einen wörtlichen als auch einen übertragenen Sinn vermittelt. Sie besitzt eine offensichtliche und eine verborgene Bedeutung, wobei der wörtliche Sinn durch Analogie oder Vergleich auf den übertragenen Sinn hinweist. Der Begriff „Allegorie“ leitet sich von den griechischen Wörtern „állos“ (anders) und „agoreúein“ (sprechen) ab, was bedeutet, etwas anderes zu sagen—die Sprache drückt eine Sache aus, während die wahre Bedeutung eine andere ist.
Während einige argumentieren, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen einer Allegorie und einem Symbol gibt, besteht doch ein Unterschied in ihrem Charakter. Eine Allegorie kann ohne vorherige konventionelle Vereinbarung interpretiert werden, während ein Symbol eine solche Vereinbarung erfordert.
Zum Beispiel ist die Legende des dritten Grades in der Freimaurerei eine Allegorie, die die Idee der Wiedergeburt oder Auferstehung vermittelt und ohne Vorwissen verstanden werden kann. Im Gegensatz dazu ist der Akazienzweig ein Symbol für die Unsterblichkeit der Seele—eine Bedeutung, die durch konventionelle Übereinkunft festgelegt wurde, als das Symbol erstmals eingeführt wurde.
Klarheit in der Allegorie
Eine Allegorie, deren Bedeutung unklar ist, gilt als unvollkommen. Die verborgene Bedeutung sollte leicht zu interpretieren sein. Der französische Dichter Antoine-Marin Lemierre beschrieb dies treffend mit den Worten: „L’allégorie habite un palais diaphane“, was bedeutet, dass die Allegorie in einem durchsichtigen Palast wohnt.
Allegorie in der Freimaurerei
Die Allegorie ist ein wesentliches Element der freimaurerischen Tradition. Sie ermöglicht es, komplexe Ideen und moralische Prinzipien auf anschauliche und einprägsame Weise zu vermitteln. Alle Legenden der Freimaurerei sind mehr oder weniger allegorisch. Während einige einen historischen Kern haben mögen, liegt ihre Bedeutung in ihrer allegorischen oder symbolischen Natur. Die englischen Lehrvorträge definieren die Freimaurerei treffend als „ein System der Moral, verhüllt in Allegorien und veranschaulicht durch Symbole“.
Bedeutung der Allegorie für die Freimaurerei
Vermittlung von Wissen: Die Freimaurerei versteht sich als Schule der Moral und der Selbsterkenntnis. Allegorien bieten eine effektive Methode, um moralische Prinzipien und Tugenden zu veranschaulichen und die persönliche Entwicklung der Mitglieder zu fördern.
Geheimhaltung und Diskretion: Die Freimaurerei hat eine lange Tradition der Geheimhaltung. Allegorien ermöglichen es, Wissen und Lehren auf verschlüsselte Weise weiterzugeben und gleichzeitig die Neugier und das Interesse der Initiierten zu wecken.
Symbolische Reise: Die freimaurerischen Rituale sind als symbolische Reise konzipiert, die den Weg des Suchenden von der Unwissenheit zur Erkenntnis darstellt. Allegorien dienen dabei als Stationen auf diesem Weg und bieten Gelegenheiten zur Reflexion und Selbsterkenntnis.
Beispiele für Allegorien in der Freimaurerei
Die Bauhütte: Die Freimaurerei nutzt die Symbolik der mittelalterlichen Bauhütte, um den Prozess der persönlichen Vervollkommnung zu veranschaulichen. Der Freimaurer wird als Steinmetz betrachtet, der an sich selbst arbeitet, um einen „rohen Stein“ in einen „behauenen Stein“ zu verwandeln.
Die Reise des Gesellen: Im zweiten Grad, dem Gesellengrad, begibt sich der Initiierte auf eine symbolische Reise, die ihn mit verschiedenen Künsten und Wissenschaften vertraut macht. Diese Reise repräsentiert den Prozess der intellektuellen und spirituellen Entwicklung.
Der Tempel Salomos: Der Tempel Salomos ist ein zentrales Symbol in der Freimaurerei und steht für die Harmonie zwischen Geist und Materie, zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen.
Interpretation von Allegorien
Die Interpretation von Allegorien in der Freimaurerei ist nicht fest vorgeschrieben. Jedes Mitglied ist ermutigt, die Symbole und Geschichten im Kontext seiner eigenen Erfahrungen und Erkenntnisse zu deuten. Der Austausch und die Diskussion über die Bedeutung der Allegorien sind ein wesentlicher Bestandteil der freimaurerischen Arbeit.
Historische Verwendung
Die Allegorie war eine beliebte Stilfigur in der Antike. Die griechische und römische Mythologie ist reich an allegorischen Elementen. Diese Praxis fand sich auch in älteren indoiranischen Kulturen, etwa in den Religionen des Hinduismus und des Zoroastrismus. Die jüdischen Rabbiner neigten stark zur Verwendung von Allegorien, manchmal im Übermaß, wie Maimonides in seinem Werk Führer der Unschlüssigen feststellte. Der Midrasch, ein System von Kommentaren zu heiligen Texten, ist nahezu vollständig allegorisch. Abraham ibn Ezra, ein gelehrter Rabbi des 12. Jahrhunderts, verglich die Schriften mit einem Körper und die Allegorien mit den Kleidern, die sie bedecken—von feiner Seide bis zu grobem Sackleinen.
Jesus von Nazareth, vertraut mit diesem Ansatz unter den jüdischen Lehrern seiner Zeit, lehrte viele Wahrheiten durch Gleichnisse, die als Allegorien dienen. Die frühen Kirchenväter der christlichen Kirche übernahmen diese Methode ebenfalls. Origenes, ein prominenter christlicher Schriftsteller des 3. Jahrhunderts, betonte, dass viele heilige Schriften und philosophische Werke allegorisch interpretiert werden sollten.
allegorisierende Schriftsteller
Für Freimaurer besonders interessant sind Samuel Lee, der Autor von Orbis Miraculum oder Der Tempel Salomos dargestellt durch das Licht der Schrift, und John Bunyan, der Salomons Tempel spiritualisiert verfasste.
Wilhelm Durandus, auch bekannt als Guillelmus Durandus (1230–1296), schrieb eine Abhandlung über den Ursprung und die symbolische Bedeutung christlicher Rituale, einschließlich Zeremonien und Lehren im Zusammenhang mit Kirchengebäuden. Eine englische Ausgabe dieses Werkes mit dem Titel The Symbolism of Churches and Church Ornaments, übersetzt von J. M. Neale und Benjamin Webb, wurde 1843 in London veröffentlicht und gilt als anregende Lektüre.
Beziehung zur Alchemie
Die Alchemie beeinflusste die Freimaurerei, insbesondere im 18. Jahrhundert. Alchemistische Konzepte und Symbole finden sich in freimaurerischen Ritualen und Lehren wieder. Als allegorische Tradition befasst sich die Alchemie mit der Transformation der Materie und des menschlichen Geistes. In der Freimaurerei werden alchemistische Symbole wie Salz und Schwefel als Darstellungen gegensätzlicher Prinzipien und transformativer Prozesse interpretiert.
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